1. Mai 2020 in Karlsruhe – Lieber Klassenkampf als soziale Revolution?!

Laut der Internetseite https://erstermaika.wordpress.com/ fanden rund um den 1. Mai 2020 in Karlsruhe unterschiedliche Aktionen statt, ein “antiakpitalistisches Bündnis Karlsruhe” habe das “Heft des handelns” in die eigenen Hände genommen. Der DGB meldete keine Demonstration im Stadtgebiet an. In Ettlingen fand eine kleinen DGB Kundegebung statt. Laut BNN beteiligten sich etwa 30 Menschen. In der Karlsruher Innenstadt fanden sich etwa 300 Menschen ein welche die “Corona-Regeln” in Frage stellten, angemeldet wurde die “Grundrechte Demonstration” von dem FDP Mitglied Moritz Klammler. Auf dem Marktplatz fanden sich laut BNN etwa 50 Anhänger*innen der MLPD ein. Anscheinend war es den Marx-Lenin Anhänger*innen nicht erlaubt am antikapitalisitschen Protest am Friedrichsplatz teilzunehmen.
Im Stadtgebiet verteilt gab es diverse Bannerdrops anarchistischer Menschen mit radikalen Forderungen.

Der 1. Mai als Kampftag der Abeiter*innenklasse ruft immer wieder alte Geister auf die Straße, egal welchen Alters fordern sie einen Klassenkampf, welchen sie in Zeiten einer maximal ausdifferenzierten Sphäre lohnabhängig Beschäftiger, Kleinst- und Scheinselbstständiger, Arbeitsloser und Menschen ohne jegliche Rechte, nicht weiter erklären können und wollen. Der Eindimensionale Kampf der “Werktätigen”, großteils handelt es sich wohl um Student*innen, welche sich da der Identiät der/des “Arbeiters” nah machen, erzeugt immer mehr ein Bild, welches an autoritäre und wenig progressive, kommunistische Strömungen erinnert. Trotz Dauerregen, so das Bündnis, wehten die roten Fahnen. Auch Hammer und Sichel blitzte hier und da von der Anti-Corona Maske oder dem ein oder anderen Graffiti im Stadtgebiet. Der Moderator lobte die disziplinierte Einhaltung der Hygieneregeln. Die gehaltenen Redebeiträge forderten einmal, die Menschen aus sogenannten “Hot-Spots” von den griechischen Inseln zu holen, ein anderes Mal sollten Pflegekräfte Lohn anstatt Applaus erhalten, in einem weiteren Wortbeitrag wollte das Klimakollektiv weder die Umwelt noch die Arbeitsplätze zu Grunde gehen sehen. Ein Überbau, welcher die angeführten sozialen Kämpfe zusammenführt, oder deren Zusammenhang erklärt, fehlte leider vollständig. Der Kapitalismus soll das Virus sein, so prangt es an einer Wand, welche in Vorbereitung auf den 1. Mai besprüht wurde. In wie fern sich mit dieser “Erkentnis” eine “Internationale Solidarität” hochhalten und aufbauen lässt, bleibt ersteinmal unbeantwortet. Insgesamt scheinen die meisten beteiligten Grupppen vor allem das skandalisieren wenig skandalträchtiger Politiken vor zu haben. Der Flüchtlingshotspot Moria ist ein Skandal, die Bezahlung der Pflegekräfte ist ein Skandal, die Privatisierung ist ein Skandal. Kommunismus ist dann die Lösung. Ein inter- und kein antinationaler Kommunismus wohlgemerkt.

Doch es ist eben nicht wie beschrieben, denn: Moria ist kein Skandal, Moria ist ein Konzept. Nationalstaaten wie Deutschland, welche sich in einem Wirtschaftsraum wie der EU organisiseren, möchten eben nicht, dass jede/r dahergelaufene die staatliche Infrastruktur nutzen oder an ihr teilhaben kann.
Die Bezahlung von Care-Arbeiter*innen ist nicht seit Corona schlecht, sie ist seit Ewigkeiten miserabel. Wer für seine Behandlung zahlen kann, bekommt davon wenig mit. Dann gilt das Prinzip Chefarztbehandlung. Wer nur mit müden Behandlungsscheinen der gesetzlichen kommt, der/die lernt schnell, wie marode die Versorgung stellenweise geworden ist. Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen, Pflegekräfte, ihre Stellung in der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert. In der nationalstaatlich organisierten deutschen Leistungsgesellschaft sind Kranke, Arme oder Empfänger*innen von Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe, für die Meisten immer noch soziale Fehler, schaden am Körper des Volkes, Kostenfaktoren.
Die Liberalisierung aller Geschäftsbereiche und die Strategie der konkurrenzbasierten Wirtschaftsweise führten und führen täglich dazu, dass Gemeinschaftsgüter privatisiert werden. Schon 2006 veröffentlichte ein Bündnis aus mehreren antifaschistschen Gruppen einen Reader unter dem Motto: “They gone privatize the air!” (1) – Schon damals war bekannt und gut analysiert, wohin die Privatisierungspolitik einer Rot-grünen Bundesregierung Schröder führen wird. Es ist kein Skandal, dass heute Menschenleben in Krankenhäusern kühl gegengerechnet werden. Es ist auch kein Zufall, es ist konkurrenzbasiertes Wirtschaften. Es ist Kapitalismus.

Laut dem selbsternannten antikapitalistischen Bündnis Karlsruhe, sind “Die Profiteure dieses Systems sind nur einige Wenige, die sich auf dem Rücken der meisten Menschen ein schönes Leben machen.” – Mit dieser kurzen und wenig antikapitalistischen Parole wollen die Veranstalter*innen überleiten zu den Forderungen, welche in der Zukunft liegen sollen.
Auf einer Bildgleichen Veranstaltung der Revolutionären Aktion Stuttgart (RAS) welche sich an der selben #nichtaufunseremrücken Kampagne beteiligt, ist eine der Forderungen und Zielsetzungen gegen Ende des Berichts auf dem Gruppenblog: _ “Auch wenn wir noch sehr viel vor uns haben: Die Orientierung an den relevanten Kampffeldern in der Klasse, die sich gerade entwickeln, und ein klares Auftreten als KommunistInnen schaffen wichtige Voraussetzungen dafür eine schlagkräftige revolutionäre Bewegung aufzubauen, das hat uns der 1. Mai 2020 in Stuttgart – wenn auch nur im Kleinen – vor Augen geführt.”_

Es geht in der Kampagne also um Klassenkampf und das klare auftreten als Kommunist*innen, die Luxemburgische Losung: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der »Gerechtigkeit«, sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die »Freiheit« zum Privilegium wird.“ (2) Lässt sich aus der “Zukunftsvision” der Stuttgarter Revolutionäre nur noch sehr bedingt herauslesen.

Wichtige Forderungen nach dem Abbau hierarchischer Konkurrenzsysteme sowohl in der Wirtschaft, als auch zwischen Menschen, in sozialen Systemen und gegenüber der Umwelt, bleiben (leider) aus. Die Fokusierung auf eine “Gruppe” von Managern, Bossen oder sonst wie benannten Ausbeutern basiert auf einem notwendig falschen Bewusstsein kapitalisitischer Sachzwänge. Es erscheint ausweglos einzugestehen, dass die Auflösung kapitalistischer Logiken mit autoritären Ersatzorganisationen nicht zu machen ist. Es bleibt der lange Weg des gemeinschaftlichen Erkämpfens freiheitlicher (Lebens)räume. Denn Freiheit kann nur von Freiheit kommen. Das “klare auftreten als KommunistInnen” wird dem Aufbau einer freien Gesellschaft der Vielen im Wege stehen.
In den letzten Jahren hat sich die (radikale)Linke vielen Teilbereichskämpfen verschrieben, welche aus heutiger Sicht als identitätspolitische Projekte gesehen werden können. Mal anwaltlich, mal solidarisch wurde für die Rechte von Unterdrückten und Minderheiten gekämpft. Vielerorts unter Berücksichtigung ihrer Perspektiven, selten unter Einbeziehung ihrer vielfältigen Stimmen. Die Organisierung in “Kommunisitschen” Gruppen, die auftreten, als seien sie eine politische Macht, immer auf der Suche nach Verbündeten aus der nicht näher definierten (angeblich eigenen) “Klasse”, mit all dem dazugehörigen identitätsstiftenden Habitus, schlägt in die selbe Kerbe wie andere identiätspolitische Projekte der vergangenen Jahre. “Doch es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur die Sache der Arbeiter sein” (3) Von Selbstermächtigungsstrategien und Befreiung der Unterdrückten und Beherrschten durch kollektives Handeln, kein Wort.

Auf der Karlsruher Kundegebung wurde unter anderem gefordert eine Gesellschaft aufzubauen, in welcher die gute Gesundheit aller im Fokus steht. Ein interessanter Gedanke. In der politischen Umsetzung jedoch erstmal anzuzweifeln. Gerade jetzt erheben die Nationalstaaten vieler Ortens den Anspruch, sich im Sinne bio-politischer Herrschaftsstrategien, vor allem um die Gesundheit aller zu scheren. Geschieht Gesundheitsschutz am Volk, egal, ob es demokratisch, sozialistisch oder kommunistisch-autoritär regiert wird, als Verordnung oder Gesetz, ist es immer ein Akt autoritärer Bevormundung. Ohne die Auflösung des Herrschaftsverhältnisses, bleibt auch bio-politische “Gesundheitspolitik” eine Herrschaftsstrategie. Die Gesundheit steht im Fokus, das Ziel ist die Beherrschung der Bürger*innen und ihrer Körper.

Es ist löblich und erfreulich, dass sich Menschen auch am 1. Mai 2020, während der Corona Pandemie, auf den Karlsruher Straßen versammelt haben. Es wurden einige wichtige Forderungen öffentlich zum Ausdruck gebracht. Es wurde zudem sichtbar, dass sich zunehmend vor allem junge (radikale)Linke in Karlsruhe hingezogen fühlen und beinflussen lassen von Kräften, die glauben den Weg in die Freiheit der Vielen selbst bereits gut zu kennen. Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, zu einer pluralistischen, radikalen Auseinandersetzung, welche das gemeinsame Ziel einer von Konkurenz, Zwang und Kapital befreiten Gesellschaft im Blick behält, zurück zu kehren. Der Glaube, es könne auch eine Abkürzung geben, wenn Mensch sich auf ein Gesellschaftskonzept, in diesem Falle den Kommunismus einigt, und nur noch diesen im Blick hat, wird sich als falsch erweisen. Denn noch einmal: Freiheit kann nur aus Freiheit kommen!

Für eine pluralsitische Auseinandersetzung der Vielen, für die soziale Revolution und eine Gesellschaft frei von Herrschaft!
Für eine anarchistische Bewegung, die den weg aus der eigenen Suppe sucht und den Weg zu den Menschen und ihren Betroffenheiten (zurück) findet.
Für die gemeinsame Überwindung von Unterdrückung, Herrschaft und Zwang!

Gegen jede autoritäre Bestrebung!

(1) https://archive.org/details/alb_they_gonna_privatize_the_a ir_2008/

(2) https://beruhmte-zitate.de/zitate/2002133-rosa-luxemburg-freiheit-nur-fur-die-anhanger-der-regierung-nur-f/

(3) Ton, Steine, Scherben