Unser Nachbericht zu den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 09.11. in Karlsruhe Durlach kommt etwas spät. Geschuldet ist dies vor allem der zerfahrenen Situation und der unterschiedlichen Ereignisse am Tag selbst.
Wir beginnen unseren Bericht schon im Vorfeld des 09.11., da dies für den weiteren Kontext wichtig ist.
Als bekannt wurde, dass am 09.11.2024 Nazis von NPD und Die Rechte einen Aufmarsch in Karlsruhe planen, haben verschiedene Menschen und Strukturen mit der Planung von Gegenprotesten begonnen. Es wurden verschiedene Kundgebungen rund um den Karlsruher Hauptbahnhof, wo der Start des Naziaufmarsches angekündigt wurde,angemeldet. Anmeldungen gab es u.a. vom Netzwerk gegen Rechts, von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und Einzelpersonen.
Anstatt sich auf die Proteste gegen den Naziaufmarsch zu konzentrieren versuchten einige „Antifaschist:innen“ jegliche Organisierung jenseits des Netzwerk gegen Rechts öffentlich zu diskreditieren und auf verschiedenen Wegen gar zu verhindern. Diese Absurdität hat sich bis in die Nachbetrachtungen zu den stattgefundenen Protesten durchgezogen. Dazu später mehr…
In der Befürchtung, dass auf Grund der verschiedenen angemeldeten Gegenproteste um den Karlsruher Bahnhof vom Ordnungsamt ein Ausweichort für die Nazis gefunden werden könnte, wurden im Vorfeld auch rund um den Durlacher Bahnhof verschiedene Kundgebungen angemeldet. Diese Befürchtungen wurden dann auch wahr. Es dürfte vor allem das Anliegen von Stadtverwaltung und Ordnungsbehörden gewesen sein die Nazis nicht vor dem prestigeträchtigen Karlsruher Hauptbahnhofs aufmarschieren zu lassen. Zudem war die Einsatzlage am Durlacher Bahnhof auf Grund des vor einiger Zeit stattgefundenen Tag der Deutschen Zukunft der Polizei bekannt und einfach zu kontrollieren. Dank der frühzeitig von verschiedenen Personen und Strukturen angemeldeten Gegenveranstaltungen waren jegliche Zugänge in bewohnte Gebiete für die Demonstration der Nazis versperrt. Umgekehrt hatte die Polizei leichtes Spiel die übrig gebliebene Wegstrecke zwischen Industriegebäuden und Steinmauern abzusichern.
Für etwas Verwirrung im Vorfeld des 09.11. sorgten vor allem die Veranstaltungen, welche unabhängig des Netzwerks gegen Rechts angemeldet waren. Eine Zusammenarbeit war vor allem auf Grund dessen nicht möglich, da das Netzwerk gegen Rechts die DIG nicht als Kooperationspartnerin annehmen möchte und andere politisch aktive Menschen kein Interesse an einer Monopolstellung des Netzwerkes für antifaschistischen Protest haben. Diese sollten auch Recht behalten. So dürfte genau diese Vielfalt der Proteste dafür gesorgt haben, dass sich die rund 20 Nazis fernab jeglicher Öffentlichkeit ihr Stelldichein gaben.
Auf Grund dessen, dass die statische Situation am Durlacher Bahnhof und ein immenses Polizeiaufgebot mit Pferdestaffel, Drohnen, Hundestaffel und was sie sonst noch zu bieten haben, war der Fokus des Tages eher rund um die Aufmarschstrecke. Wir möchten einige Situationen aufgreifen und beschreiben.
Wie am Anfang angedeutet schien der Fokus einiger „Antifaschist:innen“ schon im Vorfeld eher auf den offensichtlich unerwünschten Gegenprotesten, die nicht vom Netzwerk gegen Rechts organisiert waren, statt auf dem Naziaufmarsch zu liegen. Während einige Personen aus dem Netzwerk gegen Rechts eine Vereinnahmung der Gegenproteste durch die DIG in Bezug auf den Krieg in Israel und Palestina befürchteten, hatten sie kein Problem mit den Vereinnahmungsversuchen von „Propalästinensischen“ Protestler:innen. Einer kleinen Gruppe von diesen war es dann auch wichtiger gegen die Kundgebung der DIG zu protestieren als den Fokus auf den Protest gegen den Naziaufmarsch am Jahrestag der Reichspogromnacht zu richten. Dieser verfehlte Fokus gipfelte darin, dass eine Demonstration zwischen zwei Gegenkundgebungen, welche sich explizit gegen Antisemitismus richtete von propalästinensischen Demonstrierenden mit „Viva Palästina“ Rufen überrant wurde und Teilnehmer:innen der DIG-Kundgebung angespuckt und mit einem Rauchtopf beworfen wurden.
Offensichtlich fehlte einigen Menschen das Geschichtsverständnis an diesem Tag. Und auch der Ort an einem Gedenkstein für deportierte Jüdinnen:Juden an dem dies geschah dürfte ihnen völlig unbekannt gewesen sein.
Dass mehrere Nazis vor deren Aufmarsch durch die Gegenkundgebungen gelaufen sind, dass diese am Ende ihres Aufmarsches nahezu unbeachtet des antifaschistischen Protestes Ewigkeiten in Polizeibegleitung am Bahnhof standen, spricht nicht gerade dafür, wo der Fokus an diesem Tag liegen sollte.
In den öffentlich gemachten Nachbetrachtungen wird über diese Geschehnisse kein Wort verloren. Das OAT Karlsruhe schreibt sich den „erfolgreichen Gegenprotest“ auf die eigene Fahne, dabei war es lediglich ein Teil des Protestes des Netzwerk gegen Rechts. In der Erklärung des Netzwerks im Nachgang werden gar die anderen Proteste als ihnen nahestehend vereinnahmt, wo sie sich im Voraus doch klar abgegrenzt hatten. Und in einem Statement auf dem Instagramaccount des OAT Bretten werden Zionist:innen zum erklärten Feindbild und mit den Nazis gleichgesetzt.
Selbst als bei der Abreise im Durlscher Bahnhof die Polizei mit unglaublicher Gewalt Menschen in Gewahrsam nahm, verletzte (es kamen Pfefferspray, Schlagstöcke und Hunde und in dessen Folge Rettungswägen und Sanitäter:innen zum Einstaz), war es nicht wenigen wichtig ihren Fokus statt auf die vielbeschworene Solidarität lieber auf die Austragung des Krieges in Nahost auf dem Bahnsteig zu legen.
Der 09.11. ist ein geschichtsträchtiger Tag in vielerlei Hinsicht. Die Ausrufung der Weimarer Republik, der Hitlerputsch, der Mauerfall und ganz zentral die Reichspogromnacht, mit der die industrielle Vernichtung jüdischen Lebens und unerwünschter Lebensformen in begann. In der Folge dieses Vernichtungswahns wurde die zionistische Idee eines Schutzraums für verfolgte Jüdinnen:Juden mit der Gründung des Staates Israel umgesetzt. Als Lehre aus dieser Vergangenheit wurde das Grundrecht auf Asyl festgesetzt.
Es gab viele Bezugspunkte für Antifaschist:innen und Antirassist:innen an diesem Tag. Jüdinnen:Juden beim Protest gegen einen Naziaufmarsch an einem Gedenkort anzugreifen dürfte der schlechteste gewesen sein. Dies ist auch durch eine vorgeschobene Kritik an zionistischen Ideen nicht zu rechtfertigen.
Es war ein starkes Zeichen, dass rund zweitausend Menschen auf die Straße gegangen sind, dass die verschiedenen Proteste den Nazis schon im Voraus den öffentlichen Raum streitig gemacht haben.
Am Ende bleibt ein sehr diffuses Gefühl zur Absurdität dieses Tages und die Frage warum die Angriffe auf Menschen verschwiegen oder teilweise gar gerechtfertigt werden.