Wir arbeiten nicht für Eure Krisen – Für eine Zukunft ohne Lohnarbeit! – Beitrag des anarchistischen Netzwerk ANIKA zum 1. Mai 2022 in Karlsruhe

Unser Beitrag zum 1. Mai 2022 basiert auf dem Text Diagnose Kapitalismus von Horst Stowasser.

Krise? Was für ‘ne Krise, bitteschön? „Entscheidungssituation, Wende-, Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung“ bietet der Duden als erste Definition dieses Wortes an. Von alldem sehe ich weit und breit nichts. Leider. Denn wirklich entschieden wird nichts, alles geht im Grunde weiter wie gehabt – business as usual. Und Wendepunkt gar? Pustekuchen!

Wohin denn auch? Hat irgendjemand eine wirklich andere Richtung, zu der sich alles wenden könnte?

Zum Besseren – zum Guten gar?“

Wiederkehrend rattert die rhetorische Gebetsmühle und sondert altbekannte Statements ab: Der Kapitalismus funktioniert nicht so recht – wir können es besser! Bonzen und Manager sind schamlos reich – her mit ihrem Geld für die Hartz-IV-Empfänger! Die profitgeile Wirtschaft vernichtet Arbeitsplätze – wir fordern Arbeit für alle! Die Steuerpolitik begünstigt bloß die Reichen – linke/grüne Konsumpolitik wird endlich wieder Wachstum bringen!

Besser machen – umverteilen – Vollbeschäftigung – Wachstum… Ist da irgendwo irgendetwas Neues in Sicht?

 

Dass nicht volle Lohnarbeit eine für den Menschen angemessene Daseinsform ist, sondern gar keine. Dass die Chance des Überlebens auf diesem Planeten nicht auf mehr Wachstum gründet, sondern auf weniger ist wenn dann eine Nebendiskussion.

Unser gesamtes wirtschaftliches System ist die lückenlose Kette einer einzigen Krankengeschichte und das, was wir als „Krise“ bezeichnen, nichts weiter, als ein neuerlicher Fieberschub. Die Anamnese dieser Krankheit heißt Herrschaft, die Diagnose Kapitalismus und die Prognose Wendepunkt oder Tod.

Da werden mittels geostrategischer Kriegsszenarien alle Anstrengungen unternommen, sich den Zugriff auf die allerletzten Öl- und Gasvorkommen zu sichern. Dabei ist klar, dass im gegenwärtigen Wirtschaftssystem die Menschheit nicht eher ruhen wird, als bis auch das letzte Quäntchen fossiler Energie verbrannt sind.

Doch nicht nur Kriege sind die Mittel der Wahl. Subventionen, sogenannte Freihandelsabkommen, Hartz IV oder Corona-Hilfen werden genutzt, um das Elend und die Ausbeutung von Menschen weiter zu festigen.

A Propo Krieg:

Die ganze Welt schaut aktuell in die Ukraine. 

Die Folgen der russischen Invasion treffen jedoch nicht nur die Menschen in der Ukraine. Auch hier vor Ort sind wir mit den Auswirkungen, vor allem auf Grund unseres Wirtschaftssystems konfrontiert.

Die Diskussionen drehen sich vor allem um steigende Energiepreise und die mangelhafte Lebensmittelversorgung.

Diese Auswirkungen basieren vor allem auf einer jahrelangen Fehlwirtschaft. Die Konzentration einzelner Wirtschafts- und Produktionszweige führen zu ökonomischer und politischer Macht. Die Konsequenz daraus muss eine dezentrale Versorgungsstruktur mit einem sofortigen Umstieg auf erneuerbare Energie sein.

Doch nicht nur die Probleme durch die zentralisierte Wirtschaftsstruktur wird im Zuge der Kriegsauswirkungen deutlich.

Während die Solidarität mit den flüchtenden Menschen aus der Ukraine innerhalb der Bevölkerung sehr groß war und teilweise noch ist, wurde gleichzeitig deutlich, dass der Mensch in erster Linie als Humankapital gesehen wird.

Während in Deutschland auf schnellstem Wege die „Intergration“ durch Arbeit ausgerufen wurde, befürchtet man in der Ukraine die Verhinderung einer schnellen Rückkehr den Verlust vieler Arbeitskräfte genau dadurch. 

Die deutsche Wirtschaft hingegen freut sich über die neue Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Die widerlichsten Auswirkungen zeigten sich z.B. durch die Firma Tönnies, die Menschen an der polnischen Grenze gegen die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages abholen lies. Eine Unterkunft inbegriffen, bezahlt durch den Abzug vor Gehaltsauszahlung in die Firmenkasse.

Oder den Versuch vor allem Frauen in ihrer Not zur Prostitution anzuwerben.

Unterstützt wird das Ganze von der deutschen Politik. Im Zuge der Kampagne „Integration durch Arbeit“ wurden in kürzester Zeit Möglichkeiten geschaffen, schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen und die Anerkennung von Abschlüssen forciert.

Eigentlich eine positive Entwicklung, könnte man meinen. Doch zeigt sich in diesem Vorgehen ein weiteres Unterdrückungsverhältnis. 

Wir fragen uns, ist es fortschrittlich, geflüchtete Menschen in Klassen einzuteilen? In Nützliche und Unnütze? In die, die sofort arbeiten dürfen und solche, denen es verboten ist weil sie nicht aus einem europäischen Land gekommen sind?

Wird dadurch nicht Konkurrenz, Ausgrenzung und Rassismus gefördert?

Wir plädieren auf keinen Fall dafür, dass alle gleich schlecht behandelt werden, sondern dafür, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Essen, Wasser, Energie, Wohnungen, usw. haben. 

Dass Menschen, die hier her kommen in erster Linie als Menschen gesehen und angenommen werden. Und dazu zählt auch, unsere Wirtschaftsweise so umzustellen, damit Flucht – aus welchem Grund auch immer – verhindert wird!

Deshalb braucht es neue Ideen:

Eine Wirtschaft, die auf einer „dezentralen Bedürfnisproduktion“ beruht. Das bedeutet, dass die Menschen, die etwas herstellen und die, die etwas brauchen, selbst bestimmen, was sie produzieren, wie sie produzieren und wie sie die Produkte verteilen.

In einer Gesellschaft, die dezentral und selbstverwaltet organisiert ist, wären Produzenten und Konsumenten größtenteils identisch und dort bestünden günstige Voraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, Arbeitsprozessen und der Auswahl dessen, was wirklich gebraucht wird.

Da in einer solchen Gesellschaft die Arbeitenden gleichzeitig auch die Produktionsmittel besitzen, könnte zum Beispiel die Belegschaft eines Konzerns entscheiden, ihren Giganten zurückzubauen und „umzupolen“. Der einzelne Arbeiter baut heutzutage Autos oder Kampfjets ja nicht unbedingt aus innerer Überzeugung, sondern weil er einen Arbeitsplatz braucht, um Geld zu verdienen.

Was unserer Meinung nach jedoch verschwinden soll, ist die Ausbeutung anderer Menschen, denn libertäre Wirtschaft müsse eine Solidarwirtschaft sein, die nicht darauf beruht, andere Menschen auszubeuten.

Heißt das, dass wir Verzicht üben müssen und verdammt wären, zu verarmen?

Ja und nein.

Der Klimawandel wird uns so oder so zwingen, den manischen Konsumgalopp zu bremsen. Wir konsumieren nämlich mit ungedecktem Kredit – sowohl dem Geld als auch der Natur gegenüber. Ob dies noch 50 Jahre dauern wird oder, wenn wir ganz, ganz tüchtig Energie „einsparen“ 100 oder 150 Jahre, ist für die Natur völlig unerheblich und spielt bei den Auswirkungen auf das Weltklima nicht die geringste Rolle. 

Folgen wir einer dezentralen Wirtschaftsvision, so dürfen wir annehmen, dass in einer Gesellschaft der konsequenten Bedürfnisproduktion die Menschen solche Dinge herstellen werden, die sie tatsächlich brauchen und haben wollen. 

Womit wir beim ersten Mai angekommen wären. Sieben Menschen wurden im Zuge des sogenannten Hayetmarket Riot 1886 zu lebenslanger Haft verurteilt. Stellvertretend für bis zu 90 000 Demonstrierende in Chicago und bis zu 500 000 in den USA.

Ihr Verbrechen: Die Forderung nach einem 8-Stunden Tag.

Heute leben wir in einer anderen Zeit. Zumindest was die Rahmenbedingungen angeht. Längst gibt es Theorien und Überlegungen dazu, wie viele Arbeitsstunden bei einer konsequenten Bedürfnisproduktion nötig sind, um den Bedarf aller Menschen auf der Erde zu befriedigen. Wir sprechen dabei nicht von der bloßen Ernährung, sondern einem anständigen Konsum- und Lebensstandard. Die Zahlen liegen zwischen drei und fünf Stunden täglich.

Deshalb: Vergessen wir nicht die Geschichte und schauen in die Zukunft! Wir haben nichts zu befürchten, wenn wir einen 5-Stunden-Tag fordern!

Warum dies nicht von alleine kommt? Die Antwort ist ebenso einfach wie absurd: Wegen der inneren Logik unseres Wirtschaftssystems. Im Kapitalismus zahlt es sich nicht aus, den Hunger zu besiegen und ist deshalb ökonomisch unvernünftig. Denn hungernde Menschen stellen keinen „Markt“ dar: sie sind zu arm, um zu bezahlen. Rüstung hingegen ist ein vernünftiges Geschäft, und der Supercoup, von dem jeder Rüstungsmanager träumt, ist der Krieg, weil sich dabei nämlich die teuren Waffensysteme selbst vernichten, so dass sie anschließend wieder neu gekauft werden müssen.

Angesichts dieses Irrsinnssystems zum Schluss noch einmal die Frage: Was ist eigentlich „die Krise“, von der immer wieder so viel schwadroniert wird? Irgendwelche Zahlen auf den elektronischen Anzeigetafeln in der Wall Street oder die ganz banale Tatsache, dass solche Zahlen überhaupt existieren und ihre nicht nachvollziehbare „Logik“ letztendlich über unser aller Wohl und Wehe bestimmen?

Zugegeben, diese Frage ist eine rhetorische. Es ist an der Zeit, dass aus ihrer Beantwortung eine neue Realität erwächst.

Wir arbeiten nicht für Eure Krisen – Für eine Zukunft ohne Lohnarbeit!