Zu den Entwicklungen von Vio.Me nach der Versteigerung des Firmengeländes
Im Oktober haben wir uns einem Solidaritätsaufruf von Vio.Me angeschlossen und eine kleine Aktion in Karlsruhe durchgeführt. Es gab die Befürchtung, dass die besetzte Fabrik in Thessaloniki geräumt werden könnte.
Wir haben bei Vio.Me nachgefragt, was genau passiert ist. Leider hat es etwas gedauert, bis wir dieses Statement jetzt veröffentlichen können.
Erklärung der VIO.ME-KollegInnen vom 10. Dezember 2023
Was ist passiert?
In den letzten Wochen wurde viel über die Geschehnisse berichtet, die dazu führten, dass wir in die Parzelle 60, einer abgegrenzten Halle gegenüber dem großen Fabrikgelände, ausgelagert wurden.
Wir, die ArbeiterInnen die die Fabrik VIOME besetzt haben, haben das Bedürfnis, die Ereignisse zu erklären, die uns an diesen Punkt gebracht haben.
Im Februar 2023 wurde die Firma FILKERAM1 (Vio Me war eine Tochterfirma) zwangsversteigert und ihr Grundstück veräußert. Seitdem haben wir zur Solidarität aufgerufen, und die Resonanz war sehr stark . Es fand eine Versammlung statt, an der über 150 Menschen und Kollektive teilnahmen, um einen Weg zu finden, die Zwangsräumung des Teils der Fabrik zu verhindern, den wir seit Sommer 2011 besetzt hatten.
Es wurde beschlossen, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um das besetzte Fabrikgelände in unserem Besitz zu halten, nicht nur als Arbeitsplatz, sondern auch als sozialen, kulturellen und politischen Raum, wie er es in den letzten 11 Jahren war. In diesen Jahren gelang es uns (zusammen mit solidarischen Menschen und Projekten), viele Zwangsversteigerungen zu verhindern und eine faktische Anerkennung dieses Ortes als gemeinsames kulturelles, soziales und politisches Projekt durchzusetzen.
10 Jahre Vio Me
Im April 2023 haben wir eine Feier zu unserem 10. Geburtstag organisiert, die ein großer Erfolg war, da ein großer Teil der Gemeinschaft daran teilnahm (über 10.000 Menschen). Mit den zentralen Slogans „Die Fabriken den ArbeiterInnen“, und „Nach zehn Jahren ist es keine Utopie, es ist eine Fabrik, die Geschichte macht!“, zeigten die Anwesenden, die alle mit einer Stimme diese Losungen riefen, ihre Absichten in dieser Nacht. Danach gab es eine Live-Performance der Libertasalonica2, eine weitere Live-Performance des Festivals der HausbesetzerInnen, eine Theateraufführung des Kollektivs „En Dynamei Ensemble“3 und viele, viele Live-Performances der Solidaridad Cantina. Alles in allem haben sehr viele Menschen die Veranstaltung unserer Fabrik besucht.
Die Zwangsversteigerung und die Bewachung der Fabrik
Währenddessen wollten wir herausfinden, inwieweit der Prozess der Zwangsversteigerung legal war, um eventuell die undurchsichtigen Machenschaften des neuen Eigentümers erahnen zu können. Dieser hingegen versuchte, so oft er auch auftauchte, freundlich und aufgeschlossen zu erscheinen und uns die Fortsetzung des Projektes auf dem Grundstück Nr. 60 zu erlauben. Er versuchte uns von Anfang an davon zu überzeugen, dass er keine Maßnahme ergreifen würde dieses ebenfalls zu kaufen. Jedes Mal, wenn wir um weitere Informationen baten, antwortete er jedoch nicht. Irgendwann bat er uns um einen Termin, bei dem sein Anwalt und sein Ingenieur anwesend waren, und sie schlugen vor, die Straße auf der Rückseite der Parzelle 60 zu reparieren, damit wir sie als Ein- und Ausfahrt nutzen können.
Der Erschöpfungszustand der KollegInnen nach so vielen Jahren der Bewachung der Fabrik, sieben Tage die Woche, vierundzwanzig Stunden am Tag, in Verbindung mit der geringen Beteiligung anderer Strukturen in der Gegend, ließ uns bezüglich unserer Kampfeinstellung misstrauisch werden. In der letzten Periode spürten wir, dass sich etwas zusammenbraute.
Wir organisierten eine Verstärkung der Schichten, die von vielen solidarischen MitstreiterInnen übernommen wurden. Es begann erneut eine Phase des Kampfes gegen die Zwangsräumung der besetzten Fabrik. Es wurden Solidaritätsversammlungen abgehalten und die Fabrik wurde rund um die Uhr bewacht. Die Tage vergingen ohne jegliche Entwicklung, und wir merkten, dass sich Müdigkeit einstellte. Wir beschlossen, die Schichten zu verkürzen, da wir bei diesem Tempo nicht mehr lange durchhalten konnten.
In dieser Phase versuchte der neue Investor, das gesamte FILKERAM-Grundstück einzuzäunen, so dass wir praktisch ohne Zufahrt dastanden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Fabrik sieben KollegInnen und zehn solidarische MitstreiterInnen, die mit der Bewachung betraut waren. Sie alle stellten sich vor das Montage-Team und hinderten es daran, den Zaun zu errichten.
Die Polizeipräsenz betrug etwa zehn Personen. Trotz ihrer Überlegenheit wagten sie es nicht eine Verhaftung vorzunehmen. In diesem Moment erschien ein selbsternannter „Superman“ und versuchte (trotz unserer Einwände ihn zu stoppen), unseren energischen Protest zu unterbrechen. Er schlug vor, dass es Gespräche zwischen den beiden Seiten geben sollte. Schließlich überzeugte er den Eigentümer und einen Teil der KollegInnen und MitstreiterInnen, die Umzäunung zu verschieben, was zu einer sinnlosen, inhaltslosen Verhandlungsrunde führte.
In diesem Moment dachten wir, wir würden Zeit gewinnen, aber in Wirklichkeit haben wir dem Eigentümer Zeit gegeben, einen Räumungsplan vorzubereiten. Das ist die Taktik des Kapitals zu reagieren, wenn es sich in einer schwierigen Lage befindet. Wenn es entschlossenen Widerstand gegen eines seiner Vorhaben gibt, annullieren seine Manager scheinbar ihre Pläne, aber im nächsten Moment wird ihr Konzept mit der Schock-Strategie wieder aufs Tablette gebracht (wie von Naomi Klein in dem gleichnamigen Buch beschrieben wird).
Nach zwei Wochen des Wartens und eines substanzlosen Dialogs tauchte der neue Eigentümer um sechs Uhr morgens mit einem sehr starken Polizeiaufgebot aus Bereitschaftspolizei, Spezialeinsatz- und Sicherheitskräften auf. Sie sperrten die Umgebung ab, um den Zugang für jedermann zu verhindern, und betraten die besetzte Fabrik mit einem Staatsanwalt!
Einigen KollegInnen gelang es mit viel Mühe und nach einer Verfolgungsjagd (durch die Sicherheitskräfte), das Gelände zu betreten. Uns wurde dann von der Polizei mitgeteilt, dass sich unsere Besetzung nur auf das Grundstück 60 beschränkt und dass „wir es mit der Rebellion nicht übertreiben sollten, denn schließlich gehöre uns auch diese Parzelle nicht!“
Die vier Arbeiter, die es geschafft haben, auf das Gelände zu gelangen, versuchten dann so viel wie möglich von unseren Apparaten und Instrumenten mitzunehmen. Aber „das Spiel ist aus“. Alles, was wir in diesem Moment mitnehmen konnten, sind Teile der Betriebsausrüstung der SE VIO.ME.
Es gelingt uns, mit der Polizei einen Zeitraum für den Umzug zu vereinbaren, und über unsere geplante Veranstaltung am nächsten Tag zu verhandeln (wir haben darum gebeten, den einzigen Eingang zur Fabrik nicht zu schließen).
Das Spiel mit der Zeit
Was nun die oben erwähnte Taktik (vor der Schock-Strategie) betrifft, positionierte sich das Kapital, da es sich schwach fühlte (in der Ära 2010-2015), nicht gegen das Projekt der Selbstverwaltung. Das lag nicht nur daran, dass unser Schicksal weltweit große Aufmerksamkeit erregt hatte, sondern auch in der Region und auf den Straßen der Stadt stark präsent war. Sie ließen die Zeit gegen uns arbeiten. Sie rechneten damit, dass wir müde werden und aufgeben. Doch sie mussten feststellen, dass dies nicht der Fall war. Im Gegenteil. Die Menschen reagierten positiv auf unsere Aufrufe die jeweiligen Zwangsversteigerungstermine zu blockieren.
Zunächst wurde ein Betretungsverbot für den Korridor zum Büro der Konkursrichterin unter Mithilfe von Bereitschaftspolizisten im Gerichtsgebäude verhängt. Später wurden die Versteigerungen elektronisch durchgeführt. Sie fanden einen Investor und schafften es (mit den entsprechenden Garantien), die Immobilien zu veräußern.
Andererseits gab es im Laufe der Zeit (11 Jahre) keine weiteren ähnlichen Besetzungen und es wurden landesweit keine vergleichbaren Strukturen geschaffen. Erschöpfung trat ein. Der Einfluss der Solidaritätsinitiative nahm ab, die Gesellschaft (die ArbeiterInnen nicht ausgenommen) erlebte eine konservative Wende.
Schließlich muss auch mitberücksichtigt werden, dass es uns nicht gelungen war, in den zehn Jahren unseres Bestehens zu beweisen, dass durch eine solidarische Praxis ähnliche Projekte funktionieren könnten. Projekte, die neue Arbeitsplätze und Einkommen für die dort arbeitenden Menschen schaffen im Gegensatz zu den Betrieben mit einer Chefetage – eine Situation, die die Perspektivlosigkeit gefördert hat.
Am Ende haben wir in einer sinnlosen Verhandlung mit dem neuen Eigentümer nachgegeben und uns auf das Grundstück Nummer 60 zurückgezogen. Doch all dies bedeutet nicht, dass wir den Kampf aufgeben, unseren Anspruch auf das gesamte Gelände mit anderen Mitteln durchzusetzen.
Wir, die KollegInnen der „Kooperative der ArbeiterInnen der VIO.ME“, zusammen mit dem Kollektiv „Kantine Solidaridad“ (Theatergruppe „En Dynamei Ensemble“), den solidarischen Menschen, die uns umgeben, und jeder anderen solidarischen Struktur, die sich in der Zwischenzeit gebildet hat, werden diesen Kampf bis zum Ende führen!
Trotz allem, was passiert ist, erfolgte die Wiederaufnahme der Produktion in der Halle 60 schnell. Die reflexartige Inbetriebnahme der Produktion und der Zugang einiger neuer KollegInnen ist ein weiterer Beweis, dass die Fabrik der VIO.ME durch die Kooperative der SE VIO.ME weiterhin produzieren und die Hoffnung auch für ähnliche Projekte der ArbeiterInnen lebendig halten wird. Denn das können wir viel besser machen!
Mit kämpferischen und solidarischen Grüßen
Die ArbeiterInnen der VIO.ME
Fußnoten:
1 Filkeram war die Muttergesellschaft der VIOME. Ihre Immobilien bestanden aus mehreren Grundstücksparzellen.
2 Libertasalonica ist eine libertäre Initiative (Bündnis) in Thessaloniki
3 „En Dynamei Ensemble“ ist ein Kollektiv junger KünsterInnen mit und ohne Behinderung.
https://wordpress.com/post/solidarischeperspektiven.wordpress.com/792