Die Küchensch(A)ben – Redebeitrag 30.04.2023 – Für ein Ende der Lohnarbeit

Unsichtbare Arbeit oder unsichtbar gemachte Arbeit

Die Lohnarbeit ist integraler Bestandteil des Kapital-ismus. Jedoch bedarf die Lohnarbeit immer unsichtbare Arbeit oder Arbeit die unsichtbar gemacht wird. 

Natürlich rede ich hier von Care oder Reproduktionsarbeit. 

Der Kapitalismus ist angewiesen darauf, dass Frauen unbezahlte Reproduktionsarbeit verrichten. Die italienische Feministin und Aktivistin Mariarosa Dalla Costa hat in den 1970er-Jahren mit dieser These zum Kapitalismus für Furore und Diskussionen gesorgt. 
Dalla Costa argumentiert, dass die Hausarbeit, die von Frauen geleistet wird, eine wichtige Voraussetzung für die Reproduktion der Arbeitskraft und damit für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus darstellt. Die historische Analyse ist absolut korrekt, doch haben wir heute knapp 50 Jahre später eine etwas andere Situation.
1971 betrug der Anteil der Hausfrauen an der Gesamtanzahl der Frauen bis 65 Jahre 55 %. Seither nahm die Anzahl ab, so waren es 2001 nur 36 % und 2011 nur noch 28 %. 
Die öffentliche Daseinsvorsorge vollzieht sich zunehmends mehr durch Lohnarbeit. Dies bedeutet, es benötigt mehr Menschen die in ihrer Erwerbsarbeit in Sorgebeziehungen stecken. Sie arbeiten als Pfleger:innen im Altenheim oder Krankenhaus. Davon hauptsächlich betroffen sind Migrantinnen, Transpersonen und Frauen. 
 
Und Menschen in Sorgebeziehungen sind unter Druck. Ob pflegende Angehörige, Alleinerziehende oder Beschäftigte in Krankenhäusern: Unter den kombinierten Anforderungen von Care-Arbeit in der Familie, Lohnarbeit – auch und gerade in Care-Einrichtungen – und Selbstsorge geraten viele an ihre Grenzen. Es mangelt an Zeit und an Unterstützung, diese wichtigen Arbeiten gut zu tun.
Dass dieser Mangel systembedingt ist, ist nichts Neues. Krankenversorgung ist ein Kostenfaktor, von Care-Konzernen übernommene Pflegeheime dienen der Ausschüttung von Gewinnen, Familienarbeit wird in die kleiner und zerhackter werdende Restzeit neben der Erwerbsarbeit gezwängt, wer weder erwerbsfähig ist noch Geld hat, gilt als Ballast.
Das Care-Arbeit weit entfernt von einem in Anführungszeichen fairen Lohn ist, brauche ich hier sicherlich niemandem erzählen. Deshalb ist klar: Um diese Zustände zu ändern, müssen wir die Gesellschaft verändern, sie sorgsamer und solidarischer machen.
Viele Kämpfe und gelebte Alternativen, auch im Bereich der Sorgebeziehungen, streben in genau diese Richtung.

Doch ist dies nicht die einzig unsichtbare Arbeit.

Die Lohnarbeit und der Kapazitismus oder Ableismus stehen auch in engem Zusammenhang. Auch hier wird Arbeit unsichtbar gemacht.
Kapazitismus ist die Form der ideologischen und materiellen Diskriminierung, die sich gegen Menschen richtet, die als behindert gelten. Das heißt, Kapazitismus bezieht sich auf Vorurteile und Stereotypen, die dazu führen, dass Menschen mit funktionaler Vielfalt herabgesetzt werden, aber es spiegelt sich auch in Gesetzen und materiellen Strukturen wider. Das heißt Kapazitismus ist sowohl ideologisch als auch institutionell, weil er sich durch Gedanken, aber auch durch feste und legitimierte Gestaltungs- und Organisationsformen ausdrückt. Behinderte Menschen sind nicht nur behindert aufgrund organischer, körperlicher Phänomene, sondern auch aufgrund der Bewertung ihrer Körper als behindert. Ihre Körper entsprechen nicht dem Ideal eines sogenannten gesunden Körpers. Dies spiegelt sich materiell in der Architektur der öffentlichen Flächen wieder. Zum Beispiel fehlender Zugang zum ÖPNV. Auch Wohnflächen lassen oft genug zu wünschen übrig und müssen oft durch die private Daseinsvermögen der Angehörigen oder Betroffenen selbst ausgeglichen werden. 
Die Lohnarbeit schafft nicht nur die Lohnabhängigkeit, sondern benötigt auch das Ideal des gesunden Körpers. Deswegen braucht es Care – auch selfcare – Arbeit, um uns am Laufen in der Maschinerie zu halten. Dies bedeutet aber auch, dass kein Platz für sogenannte ungesunde, behinderte Körper ist. Sie werden abgesondert, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Metaphorisch und Geographisch. Die Bildung behinderter Menschen ist leider noch immer oft genug durch Extra für sie geschaffene Einrichtungen organisiert. Genauso verhält es sich mit Wohnheimen und Arbeitsstätten. 
In diesen Arbeitsstätten sind sie unsichtbar und verdienen nicht einmal Mindestlohn. What the fuck? Zynisch möchte ich bemerken, dass wir Normalos vor dem Anblick eines behinderten Körpers geschützt werden. Ein behinderter Mensch der in einem entsprechenden Wohnheim wohnt, wird am besten noch mit speziellen Transporten zur Arbeitsstätte gefahren und abgeholt. Sodass sie zu keinem Zeitpunkt im Stadtbild vertreten sind. 
Wenn wir Kapazitismus überwinden wollen, müssen wir über die Organisationsformen der öffentlichen Flächen, des Wohnraums, der Bildung, der Care Arbeit und der Arbeit sprechen. 
Schlicht gesagt: Es geht ums`s ganze!

Ich plädiere hier nicht auf Vollständigkeit, möchte noch auf eine weitere Form unsichtbar gemachter Arbeit hinweisen.

Unwürdige Wohnbedingungen und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, davon betroffen sind zumeist osteuropäische Migrantinnen in der Tier- und Fleischindustrie. Weiterhin werden deutschland und europaweit Migrantinnen in unwürdige Leiharbeitsverhältnisse gesteckt. Leiharbeitsvermittlerinnen verdienen dabei einen großteil durch horrende Mieten und Transportkosten und wenn nicht gearbeitet werden kann, wird halt auch mal mitten in der Nacht rausgeworfen. 
Eklig war auch das Anwerben von ukrainischen Geflüchteten an den Grenzen durch Personalvermittler für Tönnies Holding, den größten Fleischverarbeiter in Deutschland. 
Doch nicht nur für Mensch und Umwelt ist die Tierindustrie ein Garant des Elends. Für die nicht-menschlichen Tiere bedeutet es nämlich ein Leben und Sterben mit Qualen. Schauen wir uns alleine die Situation von Schweinen an. Jährlich werden in Deutschland knapp 60 Millionen Schweine getötet. 
Sogennante „Mastschweine“ sind in Buchten mit Spaltenboden eingesperrt. Eine Bucht für zehn Schweine muss nur 7,5 Quadratmeter groß sein. Dort können die Tiere nicht wühlen, nicht suhlen, nicht rennen, sich nicht zurückziehen, ihre Neugier so gut wie nicht ausleben und eigentlich gar nichts tun außer zu fressen. Eine Trennung von Kot- und Liegeplatz ist unmöglich, so dass die Tiere über und in ihren eigenen Exkrementen stehen und ruhen. Viele Schweine leiden in den wenigen Lebensmonaten an Infektionskrankheiten und Verletzungen, die auf die Mastbedingungen zurückgehen (Nutztierhaltungsgutachten, S. 96). Tiere, die während der Mast in den Anlagen sterben, werden an Verarbeitungsbetriebe geliefert. Eine Studie ergab, dass deutschlandweit täglich bis zu 1200 Schweine dort ankommen, die vor ihrem Tod lange und erheblich gelitten haben.
Im Alter von etwa sechs Monaten werden die Schweine zum Schlachthof transportiert, wo sie erst betäubt und dann per Kehlschnitt getötet werden. Die Betäubung durch Gas fühlt sich für die Tiere an wie Ersticken. Bei der Betäubung per Elektrozange kommt es nach offiziellen Schätzungen in 3,3 bis 12,5 Prozent der Fälle zu Fehlbetäubungen. Außerdem werden mehrere hunderttausend Schweine jährlich nicht richtig »abgestochen«, so dass sie im heißen Brühbad wieder erwachen, wo sie dann qualvoll ertrinken.
Für mich sind das jedes mal aufs neue, erschreckende Zahlen. Zahlen von denen ungern täglich berichtet wird und die auch nicht auf den Etiketten der sogenannten Tierprodukte mitaufgeführt werden. So wie die Arbeit der Tierindustrie gerne irgendwo aud dem Land oder am äußersten Rand der Stadt geschieht, so werden auch die Bedingungen der Arbeit der Tierindustrie unsichtbar gemacht. 
So etwas wie eine Artgerechte Fleischproduktion wird es nie geben, denn artgerecht ist nur die Freiheit. Die Überwindung der Lohnarbeit, des Kapitalismus, bedeutet die Überwindung der Tierindustrie, einer Re-oganisierung des Mensch-Tier-Umwelt Verhältnisses.

Abschließen möchte ich mit einigen Worten Gustav Landauers:

„Es kommt keine Freiheit, wenn man sich nicht die Freiheit und die eigene Facon selber herausnimmt, es kommt nur die Anarchie der Zukunft, wenn die Menschen der Gegenwart Anarchisten sind, nicht nur Anhänger des Anarchismus. Das ist ein großer Unterschied, ob ich Anhänger des Anarchismus oder ob ich ein Anarchist bin. Der Anhänger eines Lehrgebäudes kann im übrigen ein Philister und Spießbürger sein; eine Wesenswandlung ist notwendig oder wenigstens eine Umkrempelung des ganzen Menschen, so daß endlich die innere Überzeugung etwas Gelebtes wird, das in Erscheinung tritt.“ 

Krempeln wir uns um, bringen wir die Verhältnisse zum Tanzen. Für ein Ende der Lohnarbeit.